Schulausflug

von Katrin Jahn

Der Tag neigt sich dem Ende zu und es wird schon kühler, aber das Hemd klebt ihm noch immer an der Haut. Die Autos brausen an ihm

vorbei, rein in die Innenstadt oder raus auf die Autobahn, und die Vögel zwitschern Begleitmusik.

Gestern hat ihm seine Jüngste vom Schulausflug erzähl, ganz schüchtern, ganz leise. Nicht gesagt, dass sie mitfährt, nicht gefragt, ob

sie kann.

Manchmal arbeitet er sechs Tage die Woche, manchmal sieben; Schichtdienst, Feiertage, Wochenenden. Als die Zweiundvierzig-Stunden-Woche kam, da hat er nur gelacht.

Und trotzdem reicht das Geld nicht.

Aber er will verdammt sein wenn er sich abrackert, kaputt rackert, ins Grab rackert und seinem Kind nicht einmal den Schulausflug bezahlen kann.

Er zieht das Hemd von der schweißnassen Haut; ein einsamer Luftzug schafft es unter den feuchten Stoff und bringt für einen kurzen Moment Erleichterung. Er wird jetzt öfter zur Tafel gehen, hat er sich vorgenommen und fängt gleich heute damit an. Er mag das eigentlich nicht, fühlt sich immer, als würde er wirklich Bedürftigen etwas wegnehmen.

Plötzlich heult irgendwo ein Motor auf - und er würde gerne mitheulen.

Denn da steht niemand.

Da steht niemand und sonst ist die Schlange so lang wie die Liste mit Fragen, die ihm keiner beantworten kann.

Er läuft jetzt, die letzten Meter.

Er greift die Tür und rüttelt.

Er schaut durch das Glas, um die Klebefolie herum.

„Hallo“, ruft er und hämmert an die Schreibe.

Die Tür geht auf; da steht die blonde Frau, sie kennen sich vom Sehen.

„Heute war ein großer Andrang“, sagt sie entschuldigend.

„Aber...“ Er zieht sein Handy aus der Tasche. „Ich bin doch nicht zu spät.“ Er dreht es so, dass sie das Display sehen kann.

Sie schüttelt nur den Kopf.

„Ok“, sagt er, aber nichts ist ok.

Gerade noch überlegt wie er den Ausflug finanzieren kann und jetzt kriegt er sie nicht einmal satt.

„Die Leute haben selber nichts und spenden nicht wie früher“, sagt die blonde Frau und schließt die Tür.

Und jetzt? denkt er. Und jetzt? Im Hintergrund brummen die Autos, die Vögel zwitschern weiter ihr Lied.

Dann kommen die Tränen. Er setzt sich auf die Stufen vor der Eingangstür und bedeckt mit den Händen sein Gesicht. Er wollte ihr doch nur den Ausflug ermöglichen. Das kann doch nicht sein, dass er arbeiten geht und sich das nicht leisten kann, das kann doch nicht sein.

Das Gesicht ist nass und die Sonne wärmt seine Haut.

Es knistert und er schaut auf, schaut zur Plastiktüte und zur blonden Frau.

„Hab' doch noch was gefunden“, sagt sie, aber er glaubt ihr nicht.

Er schämt sich, will die Tüte zurückschieben. Ich brauche keine Almosen, will er sagen.

Dann denkt er an den Schulausflug.

„Danke“, sagt er, ganz leise, ganz heiser, ganz rau.

Sie drückt seine Schulter. „Es kommen auch wieder bessere Zeiten.“

Er sieht ihr nach, bis sie am Ende der Straße um die Ecke verschwindet.

Er will ihr glauben. Er will ihr so gerne glauben.

Katrin Jahn, Jahrgang 1984, ist ein echtes Ruhrpottkind: geboren in Dortmund, aufgewachsen in Hagen, Studium der Anglistik und der Geschichtswissenschaften in Bochum. Hauptberuflich haut sie für einen Reiseblog in die Tasten, privat bereist sie die Welt und liest alles, was ihr zwischen die Finger kommt. Auch beim Schreiben fühlt sie sich in gleich mehreren Genres zuhause und ihre Texte wurden bereits in verschiedenen Anthologien sowie on- & offline Literaturmagazinen veröffentlicht.

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