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2. Fachtag Literatur in Thüringen

Ende Oktober 2018 fand im Gebäude des Erfurter Landtages ein 2. Fachtag Literatur statt, organisiert vom Thüringer Literaturrat e. V. und der Thüringer Staatskanzlei. Einmal im Verteiler vertreten, bekam auch ich eine Einladung, der ich gern nachkam, hatte mir die erste Auflage doch gut gefallen. Christoph Schmitz-Scholemann als Vorsitzender des Literaturrates begrüßte die erneut zahlreich erschienenen Gäste im Spannungsfeld von Literaturerstellung und –verkauf. Die derzeitige Digitalisierung führe zu einem nie dagewesenen Sprachumbruch.

 

Frau Eckert von der Thüringer Staatskanzlei zählte etwa 400 Autoren, über 100 Bibliotheken und ca. 30 Verlagsbetriebe. Vor 4 Jahren sind noch 4 Millionen Bibliotheksnutzer gezählt worden. Zurzeit seien es noch 2,7 Millionen pro Jahr. Als Positivum verwies sie auf die Vergabe eines Thüringer Literaturstipendiums ab 2019 durch die Kulturstiftung Thüringen.

 

Christian Müller von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg sprach über heutige Literaturvermittlung. Das analoge Buch sei nicht tot, doch in Koexistenz mit digitalen Inhalten. Der Literaturunterricht an Schulen sei im Umbruch. Audiovisuelle und digitale Medienpublikationen sind Ergebnis eines medialen Wandels als der Literatur nahe Werke. Verweis auf online-Autorenlesungen auf „zehnseiten.de“,  Literatur- und Buchblogs mit Rezensionen bei Fischer – „Hundertvierzehn“, auch Suhrkamp – „Logbuch Suhrkamp“ oder auch auf „Melody of books“ bei Youtube.

 

Am interessantesten fand ich aber Frau Annaluise Erler, eine Buchhändlerin, die im 1.500 Einwohner zählenden Ort Tharandt in Sachsen die Buchhandlung Findus betreibt. Mit allen Ortsteilen sind es etwas über 5.000 Einwohner. Den Titel „Beste Buchhandlung 2017“ hat sie sich verdient!  Mit zwei Aushilfskräften schafft sie auf verschiedenste Weise Bindungen zu ihrer Buchhandlung und damit zu Literatur. Sie geht in die Kindergärten, zur Grundschule und ins evangelische Gymnasium, sie liest selbst aber auch begabte Schüler dürfen lesen, lässt 4. Klassen in der Buchhandlung übernachten, ohne sie, mit zwei Lehrern – das sei sehr nachhaltig, die maximal 10 Mitglieder eines Literaturclubs der 5. und 6. Klassen dürfen bei ihr je drei Bücher mit nach Hause nehmen, die später „seziert“ werden. Selbstverfasste Texte über die Lieblingsbücher werden zur Schaufensterdekoration benutzt. Sie lässt Praktikanten bei sich arbeiten und an einem Tag im April Schüler den ganzen Buchladen managen. Natürlich gibt es Autorenlesungen, aber auch die „Wein-Lese-Zeit“ mit einem befreundeten Winzer aus Österreich, man kann ihren Laden für einen Abend mieten (max. 30 Personen), man kann bei ihr eine monatliche Schmöker-Schatulle abonnieren, deren Bücher sie aussucht. All das zur Kundenbindung nach der Devise: Wer mit Büchern lebt, schafft Lust aufs Lesen!

 

Prof. Dr. Harald Welzer von der Europa-Universität Flensburg erdete im Anschluss den Hype um die Digitalisierung: Das Leben ist analog – die Digitalisierung ist mit zahlreichen analogen Vorgängen unterfüttert – die Digitalisierung ist anachronistisch, da sie den analogen Verbrauch befeuert, sie ist nicht nachhaltig. Jede moderne App fungiert neben ihrem Inhalt als Entmündigungsapparat. Wir werden ständig unselbstständiger, das Maß der Selbststeuerung wird verringert. Wer braucht selbstfahrende Autos oder die Besiedelung fremder Planeten? Das seien Jungs-Phantasien! Zu beobachten sei eine narrative Verflachung. Utopie sei die komplett gesteuerte Welt, in der nichts mehr passiere. Die „smarte“ Welt sei eine ohne Erfahrnisse. Diese Kultur entspricht nicht der Aufklärung, der Schaffung des selbstbestimmten Menschen. In einer durchgehend digitalisierten Welt kann nichts mehr passieren, da es keine -sonst in getrennten Räumen passierende- Erfahrnisse mehr gebe. Durch die neue Kommunikationstechnik findet kaum noch echter Austausch statt. Jeder befinde sich in einer Filterblase seiner Empfindungen. Die Menschen reden nicht mehr direkt miteinander, sondern lediglich über die Medien: Wo kann ich mich am meisten aufregen und mit anderen Erregten darüber austauschen? Das ist eine Strategie der Verfremdung. Die Welt wird nicht komplexer, sie wird ständig einfacher. Ein Diskurs über die Zukunft finde nicht statt. Ob eine Technologie gut ist, entscheide ihr Gebrauch. Die Subjektivität sei jedoch noch nicht tot, sie ist gefährdet.

 

Dr. Guido Naschert – Kurator des internationalen Poetryfilm-Festivals Weimar referierte über neue Wege der Literaturvermittlung: Poesie-Filme, Gedichtverfilmungen, Poetry-Filme mit zwei interessanten Beispielen.

 

Prof. Dr. Gerhard Pfennig von der Gutenberg-Universität Mainz sprach zu Urheber- und Nutzungsrecht im digitalen Kontext. Der Rechtsrahmen stimme nicht mehr. Der Ausgleich zwischen Urheber, Verleger, Nutzer und großen digitalen Plattformen (die das Geld verdienen) muss verbessert werden. Gesetz EU-Harmonisierung 1 ist in Entstehung. Das Gesetz EU-Harmonisierung 2 soll den Durchbruch bringen: Wissenschaft und Lehre, Data Mining, Presseverlegerleistungsschutzrecht, Verlegerbeteiligung, Plattformverantwortlichkeit, Urhebervertragsrecht. In Deutschland gebe es ein gutes Urhebervertragsrecht. Wichtig sei das Durchsetzen der Plattformverantwortlichkeit.

 

Die anschließende Podiumsdiskussion „Vermittlungkonzepte“ brachte indes keine neuen Erkenntnisse, eher eine Zusammenfassung des zuvor Gehörten.

 

Zusammenfassend: Ein großes Lob den Organisatoren vom Thüringer Literaturrat! Es gab interessante Beiträge und Menschen, die Verpflegung stimmte und ich durfte trotz fehlerhafter Geburtstagsangabe in meiner Anmeldung trotzdem teilnehmen.

Georg Steiger, 26.12.2018

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